Peterhof: Myronsalbung und die Vermählung der Großfürstin Olga Feodorowna
Unterdessen reifte die Zeit für die Abreise der kaiserlichen Familie nach Russland, wohin auch die auserkorene Braut des Großfürsten folgen sollte. Ich als ihr Religionslehrer, sollte ihre Hoheit begleiten, um bei ihrer Myronsalbung und dann auch bei ihrer Hochzeit anwesend zu sein. So begaben wir uns Mitte Juli im Gefolge der Kaiserin auf die Reise. Unterwegs machten wir für einige Tage in Potsdam Station, wo mir eine Wohnung in einem der Flügel von Sanssouci angewiesen wurde. Als Angehöriger des Gefolges der Kaiserin wurde ich mit allen Mitgliedern ihrer Gefolgschaft zur Tafel der preußischen Hoheiten eingeladen und machte bei dieser Gelegenheit die Bekanntschaft des berühmten Humboldt, welcher damals schon ein ehrwürdiger kleiner Greis, gewöhnlich ein unumgängliches Attribut aller Zusammenkünfte am preußischen Hof darstellte.
Während des Aufenthaltes in Potsdam lernte ich auch die so genannte russische Kolonie Alexandrowka unweit von Potsdam näher kennen. Der Anblick dieser Kolonie erinnert auf den ersten Blick tatsächlich an ein russisches Dorf. Die sauberen Häuschen im russischen Stil mit einer russischen Kirche in der Mitte lassen einen sich auf einen Moment vergessen und denken, dass man sich in Russland befindet. Doch als mich der damalige Berliner Erzpriester und Vorsteher dieser Kirche, D.V. Sokolow, durch die Häuser führte, um mir das innere Leben der Kolonisten zu demonstrieren, fanden wir uns unter reinen Deutschen. Nicht nur dass niemand von ihnen auch nur ein russisches Wort verstand, sondern beinahe alle waren sie Protestanten geworden. Zunächst gingen nach den Worten von Vater Sokolow in seiner Zeit einige der alten Leute in unsere Kirche. Doch dann, durch Heirat mit deutschen Frauen und zum Teil – muss man annehmen – auch wegen der mangelnden Sorge unserer Berliner Priester, entfernten sie sich allmählich von unserer Kirche, die jetzt wegen Mangels an Gläubigen leer steht.
Schließlich fuhren wir von Stettin auf zwei Schiffen nach Russland. Auf einem der Schiffe befand sich die kaiserliche Familie, auf dem anderen – das Gefolge. Nach einer guten Überfahrt kamen wir direkt nach Peterhof, wo der Kaiserin und der auserkorenen Braut ein festlicher Empfang bereitet wurde. Ich begann mit der Prinzessin Cäcilie die Vorbereitungen auf ihre Myronsalbung und Eheschließung.
Die Myronsalbung, der Unterricht und die Vermählung fanden mit aller Festlichkeit in der großen Kirche des Winterschlosses statt. An all diesen Zeremonien nahm ich in meiner Eigenschaft als Religionslehrer und geistlicher Vater der jungen Großfürstin teil und wurde darauf mit Auszeichnungen überschüttet. So erhielt ich nach der Myronsalbung zwei Brillantkreuze, eines vom Großfürsten, das andere aus dem Kabinett seiner Hoheit; nach der Eheschließung noch zwei Kreuze, noch wertvollere, ebenfalls von den Neuvermählten und vom Kaiser. Zuvor hatte mir die Badener Großherzogin, die Mutter der Großfürstin Olga Feodorowna, eine goldene und mit Brillanten besetzte Tabakdose mit ihrem Porträt geschenkt, und der Großherzog zeichnete mich mit seinem Orden des Zähringer Löwen zweiter Klasse aus.
Da ich in jener Zeit viele ausländische Orden zu erhalten begann (ich hatte württembergische, badische, bayerische, nassauische und weimarische) und jedes Mal zur Annahme dieses Ordens die kaiserliche Erlaubnis erbitten musste, wandte ich mich an den damals amtierenden Oberprokuror des Hl. Synods, Graf Tolstoj. Er wollte scherzen und bemerkte: "Was ist das? Sie werden bald mit allen Tieren behangen sein, hier ein Adler, dort ein Löwe!" Doch er hätte besser scherzen können, hätte er gewusst, dass ich aus Anlass der Bekehrung einer protestantischen Prinzessin zur Orthodoxie einen Orden erhalten hatte, in dessen Statuten steht, dass er vorzüglich für den Eifer in der Verbreitung des protestantischen Glaubens verliehen wird.
Ich Schloss meine Angelegenheiten bei Hofe ab und wollte vor meiner Rückkehr zu meinem Dienst in Stuttgart noch etwas durch Russland reisen, welches ich zu meiner Schande so wenig kannte, wogegen ich inzwischen fast ganz Deutschland kreuz und quer bereist hatte. So stellte ich mit dem damals zu unserer Gesandtschaft in Stuttgart gehörenden Fürsten S.P. Golitzyn einen Reiseplan auf; wir wollten die Wolga hinunter bis nach Saratow fahren, und sodann in das Gouvernement Tschernigow auf das Gut der Golitzyns, wo ich mich etwas aufhalten wollte, um mit dem russischen Dorfleben vertraut zu werden, welches ich nie gesehen hatte.