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Wiesbaden – Dienst in der Gemeinde

Als Kurstadt und Ort der Roulette ist Wiesbaden selbst ein Anziehungspunkt für viele Russen. Daneben jedoch befindet es sich beinahe im Zentrum besonders frequentierter Kurorte wie Schwalbach, Schlangenbad, Ems, Kreuznach, Soden. Für all diese Orte diente die Wiesbadener Kirche als Zufluchtsort für das Gebet und kirchliche Amtshandlungen. Da ich als junger Priester nach Wiesbaden gekommen war, hatte ich noch keine Gelegenheit gehabt, viele Amtshandlungen zu vollziehen. Die erste Taufe, die ich zu vollziehen hatte, war in der Familie V.A. Schukowskij und des Fürsten A.A. Suvorov, die beide zu dieser Zeit in Frankfurt wohnten. Ich erinnere mich, wie der Fürst Suvorov um seine kleine Tochter fürchtete, dass der junge unerfahrene Priester sie im Taufbecken ertränken könnte. Wie üblich entfernte er sich mit seiner Gattin aus dem Zimmer, in dem die Taufe stattfand, und als der Moment zum Untertauchen des Kindes nahte, spitzten sie beide die Ohren, und zu ihrer beider Schrecken war nur das Plätschern des Wassers zu hören, während das Kind weder vor dem Eintauchen noch danach einen Laut von sich gab. Das lag daran, dass das Kind schlief und beim Eintauchen in das warme Wasser überhaupt nicht aufwachte. Doch ungeachtet dieser natürlichen Angst wagte der Fürst – ein Russe an Seele und Leib – nicht, die hergebrachte Ordnung zu verletzen, nach der die Eltern bei der Taufe ihrer Kinder nicht anwesend sind. Als danach im Hause Schukowskij die Taufe des neugeborenen Sohnes Paul anstand und die Sprache auf diese Angst des anwesenden Fürsten Suvorov kam, erzählte Wasilij Andrejewitsch eine Anekdote, die für jene Zeit charakteristisch war. 

Bei einer Reise mit dem Thronfolger (dem späteren Kaiser Alexander II.) durch Russland – sagte er – machten wir in einem Dorf halt. Der Priester dieses Dorfes hatte gerade eine Taufe, und er bat seine Hoheit durch mich, Pate seines Neugeborenen zu werden. Der Thronfolger willigte ein und beauftragte mich, ihn bei der Taufe zu vertreten. Natürlich wurde hierfür der Nachbarpriester eingeladen. Unser Priester als Gastgeber kümmerte sich um sein Neugeborenes und bemerkte nicht, wie der Taufritus begann. Als er es jedoch plötzlich bemerkte, verschwand er blitzschnell aus dem Zimmer. Nach der Taufe frage ich ihn: – “Sagen Sie, Vater, weshalb kann der Vater bei der Taufe seines Kindes nicht anwesend sein?” – Und was, meinen Sie, antwortete er mir? – “Man schämt sich, Hochwohlgeboren!” Und hier ergoß sich Zhukovskij in seinem gutmütigen Lachen und fügte hinzu: “Als ob er hier etwas Ungeziemliches getan hätte!”

Dabei wandten sich sowohl Suvorov als auch Schukowskij um eine Erklärung dieses unverständlichen Brauches an mich. Ich antwortete, dass man keine andere Erklärung dafür geben könne, als dass den Paten größere Bedeutung bei der Taufe beigemessen wird, die nach der Ausdrucksweise unseres Volkes Taufvater und Taufmutter des Täuflings werden. 

In der Folge hatte ich nicht selten Gelegenheit, mit Schukowskij über ähnliche Themen zu sprechen. Er war in seinen Ansichten konservativ, doch wollte er jeden Vorgang, jeden kirchlichen Brauch mit Sinn füllen. Ihm war die Autorität der Kirche heilig, und er hielt sich selbst in solchen Fragen daran, die an sich freie Überlegung zuließen. Ich erinnere mich, wie wir einmal über das Leben nach dem Tode sprachen und zu dem Gedanken von der Möglichkeit der Ansiedelung der Menschen nach der Auferstehung auf verschiedenen Planeten gelangten, wie er sich plötzlich selbst mit den Worten: “Doch darüber steht es uns nicht an, nachzudenken, wenn die Kirche uns darüber nichts sagt”, Einhalt gebot.

Meine Erinnerungen über Schukowskij wurden im “Russischen Archiv” veröffentlicht, weshalb ich sie hier nicht wiederhole. Ich erinnere mich nur an einen Umstand, der für mich selbst lehrreich war. So wie die erste Taufe im Hause Schukowskij stattfand, war dort auch die erste Beichte, die ich abzunehmen hatte. Ich vergesse nicht, wie mich jungen und unerfahrenen Geistlichen die Autorität des damals schon berühmten Dichters erdrückte, den wir in den Schulen als eine der wichtigsten Koryphäen unserer nationalen Literatur behandelten. Nachdem ich seine tiefschürfende, man kann sagen, zutiefst christliche Beichte angehört hatte, konnte ich ihm nichts anderes sagen, als vor ihm meine Jugend und pastorale Unerfahrenheit zu bekennen. Als Antwort darauf küsste er mir die Hand und sagte: “Etwas besseres als diese Lektion der Demut hätten Sie mir nicht geben können”.

Bald hatte ich Gelegenheit, im Hause Schukowskijs einen unserer anderen berühmten Literaten Beschluss, nämlich N.V. Gogol. Es war die Anfangszeit seiner nervlich-seelischen Erkrankung. Einmal erhielt ich von ihm aus Frankfurt eine Nachricht folgenden Inhalts: “Kommen Sie zu mir, um mir die Kommunion zu bringen. Ich sterbe”. Als ich auf diesen Ruf nach Sachsenhausen (dem Teil Frankfurts auf der anderen Seite des Flusses), wo Schukowskij wohnte, kam, fand ich den vermeintlich Sterbenden auf den Beinen und auf meine Frage, warum er sich in solcher Gefahr wähne, streckte er mir seine Hände entgegen und sagte: 

“Sehen Sie, sie sind ganz kalt!”.

Mir gelang es jedoch, ihn davon zu überzeugen, dass er keineswegs so krank war, um damit den Empfang der Heiligen Kommunion zu Hause zu rechtfertigen, und ich überredete ihn, nach Wiesbaden zu kommen und hier die Kommunion zu empfangen, was er auch tat. Bei dieser Gelegenheit bemerkte er in meinem Arbeitszimmer auch seine Werke. 

– Wie, – rief er beinahe erschrocken aus, – auch diese unglücklichen sind in Ihre Bibliothek gelangt!

Es war eben die Zeit, in der er alles bereute, was er geschrieben hatte. Danach kam er auf dem Weg aus Ems bei mir vorbei. Als er erzählte, dass er dort viele russische Damen kennen gelernt hatte, bemerkte er, dass russische Frauen offensichtlich eine solch schlechte Natur besäßen, dass sie sich öfters als andere zur Kur nach Ems begeben müssten. 

– Und an all dem ist unser wunderbares Petersburg schuld! – bemerkte er. 

Später sah ich ihn wieder bei Schukowskij, doch er war trübsinnig, sagte kaum etwas, ging im Zimmer auf und ab und hörte unseren Gesprächen zu. 

1845 verbrachte Fürst Suvorov den Sommer mit seiner Familie in Wiesbaden, und hier ereignete sich ein Vorfall, von dem er gerne erzählte. Aus irgendeinem Grund stritt er mit seiner Waschfrau. Diese beschwerte sich über ihn bei der Polizei, und Fürst Suvorov wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. 

In demselben Jahr wurden wir am 26. August durch die Geburt unseres ältesten Sohnes, Alexander, erfreut, für dessen Taufe ich den Onkel meiner Frau, Erzpriester Sabinin, bat aus Weimar zu kommen. So fern lag es mir, meine eigenen Kinder zu taufen. In der Folge taufte ich nicht nur meinen zweiten Sohn, sondern nahm auch meiner Frau die Beichte ab. Die Praxis des Dienstes im Ausland machte sich bald bemerkbar. Sich selbst überlassen, muss der im Ausland tätige Priester schwierigste Fragen lösen, die in Russland kein Priester ohne Konsultation mit seinem Bischof oder der Konsistorialverwaltung entscheiden würde. Jetzt gibt es noch Telegraphen, mit deren Hilfe man sich in schwierigen Situationen Erleichterung schaffen kann, aber damals brauchte man Wochen und Monate, um in einer geistlichen Angelegenheit eine Antwort zu erhalten. Zum Beweis dafür, mit welchem Zeitaufwand und welchen Schwierigkeiten damals alles abgewickelt wurde, genügt es, auf den Transport der Körper von verstorbenen Russen nach Russland zu verweisen. Außer der ausgedehnten Korrespondenz mit der russischen Regierung musste man Genehmigungen all der deutschen Behörden beibringen, durch deren Territorium der Transport laufen sollte. Und bei der damaligen Teilung Deutschlands in eine Vielzahl kleiner Staaten war das keine leichte Sache. So musste man auf dem Weg von Frankfurt nach Berlin, wobei es noch keine Eisenbahn gab, außer dem Territorium dieser Freien Stadt das Gebiet von Nassau, Hessen-Homburg, Kurhessen und einer großen Zahl verschiedener sächsischer Fürstentümer berühren, so dass ein halbes Jahr verging, bevor man die Genehmigungen all dieser selbständigen Staaten für den Transport eines Leichnams erhielt. 

In erster Linie hatte ich mit sterbenden Landsleuten in Ems zu tun, wohin russische Ärzte nicht selten Kranke im letzten Stadium der Schwindsucht schickten. Da es damals noch keine Telegraphen gab, kam nachts nicht selten ein Kurier mit dem Ruf zu einem Sterbenden, und man musste eine Postkutsche nehmen, um den Kranken noch lebend zu erreichen. Doch eine deutsche Postchaise ist bei weitem nicht das gleiche wie unsere Wechselkutsche. Kein deutscher Postkutscher beeilt sich, um auch nur eine Meile in der Stunde schneller zu fahren als üblich. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine Anekdote, die dem Fürsten Gortschakow zustieß, der zu jener Zeit bereits Kanzler des Russischen Reiches war. Er erzählte diese Geschichte selbst gerne. Es war in den sechziger Jahren, als der Zar in Kissingen war. Fürst Gortschakow befand sich im Gefolge des Zaren. Zum Empfang der Gäste hatte man Paradekutschen nach Schweinfurt, der letzten Eisenbahnstation vor Kissingen, geschickt: für die Mitglieder des Zarenhauses die Hofkutschen des bayerischen Königs, und für das Gefolge gemietete Kutschen mit Postgeschirr. Dem Fürsten Gortschakow stellte man eine Kutsche, auf deren Sattel ein imposanter bayerischer Postkutscher in leichtblauem Anzug mit silbernen Borten (die bayerischen Nationalfarben) saß. Als die Kutsche eben den Bahnhof verlassen hatte, gingen die Pferde wegen eines unbedeutenden Anstiegs im Schritt. Der Fürst, der ob solcher Unaufmerksamkeit auf seine Person unzufrieden war, bat seinen Begleiter (es war wohl ein Hamburger), dem Kutscher zu sagen, er solle schneller fahren. Doch dieser, obwohl er wusste, welche wichtige Person er fährt, wandte sich ganz ruhig halb um und sagte zu seinen Passagieren: “Haben Sie Eile? Ich habe keine!”, stieg vom Bock und ging neben seinen Pferden, um ihnen den Anstieg auf den Hügel zu erleichtern. 

In dieser Anekdote spiegelt sich der ganze Aufbau des sozialen Lebens der Deutschen wider, für die das Gesetz als Sache höher steht als alle Beziehungen zur Persönlichkeit als einer Formalität. Ich war auch einmal erstaunt, als ein einfacher Postknecht seine Mütze mit den Worten “danach will ich nicht auf der Welt leben” auf die Erde warf, nur weil der Stationsaufseher von ihm eine geringfügige Abweichung von den Vorschriften für das Einspannen der Pferde verlangte. Wir Russen mit unserer offenen Natur schauen mit ironischem Mitleid auf solche Enge des deutschen Charakters, indessen beruht auf dieser Kleinlichkeit der Beachtung der Vorschriften so fest der Aufbau des Lebens in Deutschland. 

In Wiesbaden selbst hatte ich nur mit Russen zu tun, die nicht so sehr aus gesundheitlichen Gründen als viel mehr zum Amüsement hierher kamen. Ich erinnere mich an eine charakteristische Bekanntschaft mit dem auf der russischen Ballettszene bekannten Artisten Golz. Zunächst lernte ich mit Erstaunen in ihm einen wirklichen Russen kennen, orthodox und fromm. Da er häufig nach dem Gottesdienst in unserer Kirche bei mir hereinschaute, überraschte er mich einmal mit folgender Bemerkung:

– Gestatten Sie, dass ich Ihnen als Freund eine Bemerkung mache, sagte er mir. Sie sind ein junger Priester und Sie zelebrieren mit solcher Hingabe, dass ich Sie darauf aufmerksam mache – das kann sich negativ auf Ihre Gesundheit auswirken. Ich sage Ihnen das als erfahrener Meister in meinem Beruf. In unserer Kunst gibt es auch Enthusiasmus, und ich weise immer junge Leute darauf hin, dass sie sich nicht zu sehr ihrem Beruf hingeben sollten.