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Ein Russe soll nicht in der Fremde sterben! 

Ein anderer, ähnlicher Versuch, eine ständige Kirche einzurichten, lief in demselben Sommer durch meine Hände, nämlich in Interlaken in der Schweiz. Ich wurde aus Baden-Baden dorthin zu einem Russen gerufen. Ich machte mich mit einem Psalmenleser dorthin auf den Weg und nahm zur Sicherheit ein Trauergewand mit, wie ich das immer praktizierte, wenn man mich, besonders aus Wiesbaden, zu Sterbenden an irgendeinen entfernten Ort rief. Es geschah fast immer so, dass man den Kranken in den letzten Zügen antraf, oder dass man ankam, wenn er bereits verstorben war. Diese Praxis reichte ich dann auch an meinen Nachfolger in Wiesbaden, Vater Janyschew, weiter, einmal sogar auf sehr markante Weise. Auf Veranlassung der Großfürstin Olga Nikolajewna fuhr ich nach Bonn, um den dort in einer psychiatrischen Anstalt befindlichen Fürsten P.A. Wjazemskij zu besuchen. Ich fuhr auf dem Rhein, und in Biebrich stieg Janyschew auf dasselbe Schiff zu.

– Wohin fahren Sie? – fragte ich ihn.

– Ja, ich wurde nach Bonn gerufen, um einem kranken Landsmann die Kommunion zu reichen.

– Und Sie fahren allein, ohne Psalmenleser und Gewänder?

– Ich fahre ja nur, um dem Kranken die Kommunion zu bringen. Und wenn ich Gewänder, und noch dazu Trauergewänder mitnehme, jage ich den Verwandten nur Angst ein! 

– Nun, sehen Sie zu, – sagte ich –, dass Sie nicht in Schwierigkeiten geraten, wenn der Kranke in Ihrer Gegenwart stirbt!

So geschah es auch. Als wir in Bonn eintrafen, war der Kranke bereits gestorben, und es musste ein Totengedenken gehalten werden. Aus Wiesbaden einen Psalmenleser und Gewänder zu holen, würde bedeuten, drei Tage zu warten. Der Leichnam aber sollte zur Beerdigung nach Russland geschickt werden. Unter diesen Umständen beschlossen wir, die Angehörigen nicht ohne den Trost der Gebete für den Verstorbenen zu lassen und zu zweit eine Panichida zu halten, Vater Janyschew in einem hellen Epitrachilion und ich als Psalmenleser. Genauso verhielt es sich auch in Interlaken, nur mit dem Unterschied, dass ich dorthin schon für alle Fälle vorbereitet fuhr. Den Kranken traf ich schon nicht mehr unter den Lebenden, und ich musste den Totengottesdienst für ihn halten. Da dieser einer der reichen Moskauer Kaufleute war, geriet seine Familie in Verzweiflung, weil es unmöglich war, alles so einzurichten, wie es bei einer orthodoxen Beerdigung üblich ist, und noch mehr deshalb, weil der Tote ohne Vorbereitung durch die Heilige Kommunion hatte sterben müssen. Es stellte sich heraus, dass sie lange nach einem Priester gesucht hatten. Sie telegraphierten zunächst nach Genf, ohne Antwort. Später zeigte sich, dass der dortige Priester abwesend war. Sie wandten sich nach Stuttgart, wieder ohne Antwort, da ich mich mit meiner Familie in Baden-Baden befand und meine Wohnung verschlossen war. Bis sie mich fanden und ich anreiste, war der Kranke bereits verstorben. Das betrübte die ganze Familie und sogar den Besitzer des “Hotel Ober” so sehr, dass dieser, natürlich nicht ohne eigennützige Absichten, sondern in der Hoffnung, russische Gäste in sein Hotel zu ziehen, sofort vorschlug, auf eigene Kosten eine transportable russische Kirche einzurichten. Er zeigte mir einen dafür sehr geeigneten Pavillon im Garten und bat mich nur, mich dafür einzusetzen, dass man ihm für drei Sommermonate aus Russland einen Priester zur Verrichtung der Gottesdienste senden würde. Ich wollte ihm schon zusagen, dass ich mich darum kümmern würde, wobei ich auf vollen Erfolg rechnete, als mir einfiel, dass ich mich in die Angelegenheiten einer fremden Gemeinde einmischte, da Interlaken in der Schweiz liegt, in deren Hauptstadt unsere Kirche ist, deren Vorsteher damals Vater Petrow war. Deshalb übergab ich ihm diese ganze Angelegenheit. Doch leider ließ er der Verwirklichung dieses Plans nicht nur keine Unterstützung zukommen, sondern er suchte im Gegenteil sogar, ihn zunichte zu machen, in der Überzeugung, dass dies ein völlig überflüssiges und zudem eigennütziges Unterfangen des Besitzers des “Hotel Ober” sei, und dass für einzelne seltene Fälle der Priester aus Genf immer nach Interlaken kommen könne. So wurde dieser Plan nicht verwirklicht. Doch Gott behüte die Russen davor, im Ausland zu sterben! Welche Not, welche oft beleidigenden Formalitäten müssen die Familien über sich ergehen lassen, nachdem sie ein geliebtes und nahe stehendes Geschöpf verloren haben! Gar nicht davon zu sprechen, dass kein westliches Volk auch nur das geringste Verständnis für die zärtliche Sorge um Verstorbene hat, zu welcher nur Russen fähig sind. Hier wartet man, ganz gleich in welchem Hotel jemand auch sterben mag, nicht einmal einen Tag, bevor man den Körper des Verstorbenen aus dem Haus entfernt.

Besonders in Kurorten, wohin Ausländer kommen, um neben der Behandlung eine angenehme Zeit zu verbringen, wird, wenn jemand im Hotel stirbt, der Leichnam schon wenige Stunden später möglichst heimlich, in der Dämmerung und in der Nacht in die Friedhofskapelle gebracht, wo er bis zur Beerdigung oder zur Überführung zur ewigen Ruhe in die Heimat aufbewahrt wird. Dabei gibt es um den Leichnam überhaupt nichts Orthodoxes, weder Kerzen um den Sarg, noch das Lesen des Psalters, oder die Anwesenheit der Verwandten, denn die Kapelle wird nachts geschlossen. Und wenn jemand es wagte, sich dieser gewohnten Ordnung zu widersetzen, um nach russischem Brauch den Leichnam bis zur Beerdigung in der Wohnung zu behalten, so müsste er dafür schwer bezahlen. In meiner Abwesenheit ereignete sich ein solcher Fall. Eine reiche russische Familie, die aus Bad Ems, wo die kranke Familienmutter zur Sommerkur weilte, nach Italien fuhr, übernachtete in Koblenz in einem der besten Hotels. Hier verstarb die kranke Mutter in dieser Nacht, und die Familienmitglieder antworteten auf die Forderung des Hoteliers, den Körper der Verstorbenen sofort aus dem Hotel zu entfernen, mit einer entschiedenen Absage. Sie erklärten, dass sie bis zur Überführung des Körpers nach Russland wofür mindestens drei Tage notwendig waren, nicht erlauben, die Verstorbene aus ihrem Zimmer zu entfernen. Der Hotelbesitzer verstummte, doch als alles beendet war, und die Familie sich mit dem Körper nach Russland auf dem Weg machte, überreichte er ihnen für diese drei Tage eine Rechnung über 30.000 Gulden. Diese Forderung begründete er damit, dass wegen der Anwesenheit des Leichnams in seinem Hotel in dieser Zeit nicht nur niemand Quartier nehmen wollte, sondern auch der Großteil der dort wohnenden Gäste das Hotel verlassen hätte; und dies zusammen mit den anderen Ausgaben, wie die Vernichtung des Bettes und der Möbel im Zimmer der Verstorbenen, wie auch die Notwendigkeit, die Tapeten zu erneuern, brachte ihm einen Verlust von der genannten Summe. Daraus entstand ein Prozess, der von unserer Gesandtschaft in Frankfurt unterstützt wurde, und bis zum höchsten Gericht in Berlin ging. Er endete damit, dass die von dem Hotelier geforderte Summe wohl verringert wurde, aber dennoch ein bedeutender Teil der Rechnung beglichen werden musste. So auch in Interlaken, als wir dorthin kamen und der Kranke schon gestorben war und auch sein Leichnam aus der luxuriösen Hotelsuite, die von der Familie in einem teueren Hotel gemietet wurde, entfernt war. Er wurde bei Nacht heraus getragen, um durch diesen traurigen Anblick die fröhlichen Gäste Interlakens nicht zu betrüben, und in eine kleine und erbärmliche Kapelle auf den Friedhof gebracht, wo man sich bei dem Totengedenken kaum bewegen konnte. Wenn man bedenkt, mit welcher Feierlichkeit und Pracht einer orthodoxen Ausstattung die Beerdigung dieses reichen Moskauers erfolgt wäre, wenn Gott ihn in der Heimat hätte sterben lassen, so wurde man unwillkürlich betrübt angesichts des mehr als bescheidenen Sarges, der auf zwei Bänken in irgendeinem ungetünchten Häuschen stand, nicht einmal von den allernotwendigsten Attributen einer Beerdigung umgeben. Doch hiermit waren die Qualen, die dieser Tote überstehen musste, der das Unglück hatte, im fremden Lande zu sterben, noch nicht beendet. Da der Leichnam zur Überführung nach Russland vorgesehen war, war es nötig, ihn einzubalsamieren; und da in Interlaken kein Arzt war, der dies tun konnte, musste man aus Bern einen Professor der dortigen Universität holen. In der Erwartung, dass dies lange Zeit in Anspruch nimmt, und da man mich bat zu warten, damit ich die letzte Panichida vor der Überführung des Körpers nach Russland halten könnte, beschloss ich, die Zeit zu einem kurzen Spaziergang in die malerische Umgebung Interlakens zu nutzen.

Als ich abends von meiner malerischen Wanderung zu der trauernden Familie nach Interlaken zurückkehrte, erfuhr ich von dem dort zurückgebliebenen Psalmenleser schreckliche Dinge, die sich mit dem unglücklichen Leichnam unseres Toten abgespielt hatten. Der Bote, der nach Bern gesandt worden war, um einen Arzt zur Balsamierung zu holen, kehrte mit der Nachricht zurück, dass wegen der Semesterferien alle Professoren verreist waren. Auf diese Weise war die Balsamierung des Körpers unmöglich, und ohnedies war die Überführung nach Russland ausgeschlossen, wofür alle Vorbereitungen bereits für den nächsten Tag getroffen waren. Da kam irgend jemandem die unglückliche Idee, den Körper in dem Bleisarg mit Schmalz zu übergießen und so auf den Weg zu schicken, wie man gerupfte Gänse verschickt. Und so begann man die furchtbare Operation, natürlich in Abwesenheit der Verwandten des Toten, die sonst eine solche Verhöhnung nicht geduldet hätten. Nur mein Psalmenleser war bei diesem abscheulichen Unternehmen zugegen, aber auch er konnte diesen Anblick nicht bis zum Ende ertragen. Als wir am nächsten Tag die letzte Panichida vor der Überführung des Leichnams vor dem bereits geschlossenen und in einen Kasten eingenagelten Sarg zelebrierten, von dem sich der Geruch geschmolzenen Schmalzes verbreitete, wiederholte ich unwillkürlich in meinen Gedanken: Nein, Gott gebe keinem Russen in der Fremde zu sterben!