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Das Vermächtnis des Zaren Nikolaj Pawlowitsch

Auf den Winter 1853/54 reiste die Großfürstin Olga Nikolajewna nach Russland, und ich wollte sehr gerne mit ihr fahren. Aber der Fürst Gortschakow widersetzte sich entschieden, indem er erklärte, dass es meinerseits unchristlich wäre, ihn in einer solchen Lage, in der er sich nach dem kürzlichen Verlust seiner Frau befand, ohne Trost zurückzulassen. Doch im Februar 1854 erhielt ich die beunruhigende Mitteilung von der gefährlichen Erkrankung meines Schwiegervaters, des Erzpriesters Kotschetow. Dies zwang mich, wieder gen Petersburg zu streben, aber auch hier war Fürst Gortschakow nicht damit einverstanden, mich reisen zu lassen, bis schließlich der Sekretär der Großfürstin, N.F. Adelung, mich benachrichtigte, dass ihre Hoheit, ohne mich gefragt zu haben, mir einen Urlaub in Russland erbeten hatte.

In Petersburg eingetroffen, fand ich meinen Schwiegervater schon nicht mehr unter den Lebenden, ja ich war nicht einmal bei seiner Beerdigung, da ich erst am folgenden Tag eintraf. Doch ich war zufrieden, dass ich den Kummer der verwaisten Familie teilen konnte. Dazu erwachte hier in mir wieder der starke Wunsch, in Russland zu bleiben, meinen Schwiegervater im Lyzeum abzulösen, in dem er so viele Jahre Religionsunterricht erteilt hatte. Dieser Gedanke gefiel allen und wurde von der Schulverwaltung so günstig aufgenommen, dass der Prinz P.G. von Oldenburg zur Großfürstin Olga Nikolajewna fuhr, um ihre Genehmigung zu meiner Ernennung als Religionslehrer im Lyzeum einzuholen. Aber hier traf er auf eine entschiedene Absage. Ihre Hoheit war unter keinen Umständen bereit, mich zu entlassen und legte mir im Gespräch über diese Angelegenheit wiederum dar, dass es für die Gesundheit meiner kleinen Kinder, die tatsächlich beide an chronischer Ohrenentzündung litten, besser wäre, noch einige Jahre im Ausland zu verbringen. Seinerseits schrieb mir auch Fürst Gortschakow, der davon gehört hatte, aus Stuttgart: 

"Zweifellos erwarte ich, dass Sie mit der Großfürstin zu uns zurückkehren. Olga Nikolajewna braucht hier die Zuneigung aller, und Ihre geistliche Stützung. Es sei denn, Sie werden zum Thronfolger gerufen, glaube ich, dass keine Stelle für Sie und Ihre Kinder vorteilhafter wäre als die hiesige. Vom Lyzeum kann im Vergleich überhaupt nicht die Rede sein". Auf diese Weise gelang mir auch dieser Versuch, in den Dienst in der Heimat zurückzukehren, nicht. Wir begannen, uns auf den Rückweg ins Ausland vorzubereiten. 

Am 2. Mai 1854, einen Tag vor unserer Abreise aus Petersburg, sprach ich im Hof der Großfürstin Olga Nikolajewna vor. Sie weinte bei dem Gedanken, sich vom Elternhaus trennen zu müssen. Es schien so, als ob irgendein Vorgefühl ihrem Herzen sagte, dass sie ihren geliebten Vater nicht mehr sehen würde. Da man mich dem Zaren noch nicht vorgestellt hatte, lud sie mich ein, heute – es war Sonntag – in die kleine Kirche des Winterpalais zur Liturgie zu kommen, nach der ich den Zaren sehen sollte. Den verstorbenen Kaiser Nikolaj Pawlowitsch zu sehen, war eine ungewöhnliche Sache. Ich erinnere mich, ich sah ihn zum ersten Mal im Leben 1850 im Michailow-Palais. Als ich damals noch aus Wiesbaden zu einem Aufenthalt nach Russland kam, begab ich mich am 28. Dezember zur Großfürstin Helena Pawlowna, um ihr zu ihrem Geburtstag zu gratulieren. Die Säle des Palais waren überfüllt mit Menschen, die das Erscheinen der Großfürstin erwarteten, als plötzlich mitgeteilt wurde, dass der Zar gekommen sei. Die Großfürstin Helena Pawlowna kam aus ihren inneren Gemächern und begab sich zum Empfang des Herrschers; auch ich lief aus dem Saal in den Korridor und blieb am Anfang der Treppe wie angewurzelt stehen. Die Treppe hinauf kam der Zar. Ich konnte nirgendshin ausweichen und blieb auf der Stelle stehen, beeindruckt von dieser erhabenen Figur eines ungewöhnlichen Menschen. Nun sollte ich Seiner Hoheit unter ganz anderen Umständen und einem anderen Eindruck vorgestellt werden. Ich hatte das Glück, der geistliche Vater seiner Lieblingstochter zu sein. Es war eine ernste Zeit für ganz Russland, es war die Stunde des Abschieds – was damals noch niemand erriet – des letzten Abschieds dieser Lieblingstochter von dem angebeteten Vater. Ich stand im Altar. Die Liturgie zelebrierte V.B. Baschanow. Vor dem Ambogebet kommt ein Sänger in den Altar, und sagt, dass der Zar angeordnet habe, Bazarow solle auch herauskommen, wenn Baschanow mit dem Kreuz herauskomme. Ich komme heraus. Nachdem der Zar das Kreuz verehrt hatte, trat er zu mir, um meinen Segen zu empfangen, wir küssten uns gegenseitig, und er fragte: "Wann fahren Sie?" "Morgen, Eure Hoheit!" antwortete ich. "Ich wünsche Ihnen gute Reise!" und dann nahm er mich bei der Hand, und sagte mit dem gütigsten und freundlichsten Lächeln: "Behüten Sie meine kleine Olga!"

Dieses Vermächtnis des kaiserlichen Vaters bestimmte mein endgültiges Schicksal, und nachdem ich nach Stuttgart zurückgekehrt war, begann ich, mich hier einzurichten, um meinen Platz nicht zu verlassen, solange Gott in Seinen Richtsprüchen nicht anders entschied...