Beitragsseiten

Kurgäste in Baden-Baden: Zeitvertreib - "Hohe Politik"

Als ich von diesem Ausflug nach Baden-Baden zurückkehrte, fand ich dort meine zeitweiligen Gemeindeglieder, die ungeduldig auf meine Rückkehr warteten. Teils aus kirchlichen Gründen, teils wegen meiner persönlichen Beziehungen zu einigen russischen Landsleuten, mit denen ich Freundschaft geschlossen hatte, war meine Anwesenheit ebenda notwendig geworden. So beabsichtigte z.B. eine mir befreundete Familie nach Paris und von dort zum Badeaufenthalt ans Meer zu reisen; sie wartete nur auf meine Rückkehr, um sich auf den Weg zu machen. Diese Familie, die aus der Mutter, zwei erwachsenen Töchtern und einem Söhnchen, das im Alter meiner Söhne war, bestand, machte mir das verlockende Angebot, mich nach Paris mitzunehmen. Trotz der geringen Entfernung, in der ich so viele Jahre lang von dieser glänzenden Hauptstadt der europäischen Bildung und Raffinesse wohnte, hatte ich sie noch nie gesehen. Diese Fahrt reizte mich sehr, besonders in solch einer für mich angenehmen Gesellschaft. Aber das Gefühl der Pflicht, das mich an den Dienst band – und sei es auch nur in dieser zeitweiligen Pfarrstelle – bezwang die vor mir liegende Verlockung, wenn auch nicht ganz, so doch mindestens zur Hälfte, so dass ich beschloss, meine Bekannten nur bis zur Hälfte des Weges nach Paris zu begleiten, um nicht länger als zwei Tage von Baden-Baden abwesend zu sein. Ich nahm meine Kinder mit und überquerte tatsächlich zum ersten Mal die französische Grenze, die sich damals in einer Entfernung von einigen Stunden von Baden-Baden befand. 

Von meinem Aufenthalt in Baden-Baden im Sommer 1858 habe ich noch eine besondere Erinnerung bewahrt. Man sagt, dass Frauen im allgemeinen einen großen Einfluss auf die Dienstgeschäfte haben, insbesondere auf die Karriere der Staatsbeamten. Ich konnte dies nicht so ganz glauben, dann wurde ich jedoch selbst in Baden-Baden dessen Zeuge. Dort lebte in jenem Sommer die wegen ihres ungeheuren Reichtums berühmte Fürstin Butera, eine geborene Prinzessin Schachowskaja, die in erster Ehe mit dem Grafen Schuwalow verheiratet war, in zweiter Ehe mit dem Grafen Polier und in dritter Ehe mit dem italienischen Fürsten Butera. Schließlich wurde sie Witwe. Alle achteten und liebten sie wegen ihrer Güte, ihrer großen Gastfreundlichkeit und ihrer entgegenkommenden Natur. Ich hielt mich sehr oft in ihrem Hause auf und kannte den sie umgebenden Personenkreis sehr gut.

Einmal saß ich mit ihr auf der Promenade und erzählte ihr, dass ich gerade einen Brief von Vater Janyschew aus Berlin erhalten hatte, wohin er unlängst aus Petersburg versetzt worden war, nachdem er genötigt worden war, seine Stelle als Theologieprofessor an der Petersburger Universität aufzugeben. Dorthin wurde jetzt der Schwager Vater Janyschews, P.P. Polisadow aus Berlin gerufen. 

Der arme Vater Janyschew – so sagte ich – hat Heimweh nach seinem Wiesbaden, das er so liebte und wo ihn alle so gern hatten.

Dies war genug, dass alle anwesenden Damen aufseufzten und zu klagen begannen, dass der jetzige Priester in Wiesbaden, Vater Matwejewskij, der dort Vater Janyschews Platz eingenommen hat und auch ein Verwandter von ihm ist, niemandem gefällt und durchaus nicht allen Lebensbedürfnissen der dort zur Kur weilenden Russen Genüge tut. Darauf wandte sich die Fürstin Butera an die neben ihr sitzende Frau Swistunowa, deren Gatte im Außenministerium diente, mit dem Vorschlag, ob man nicht Schritte unternehmen könne, damit Vater Janyschew wieder nach Wiesbaden zurückversetzt würde. Obwohl ich wusste, dass alle die Fürstin Butera umgebenden Personen bereit waren, auch nur den geringsten ihrer Wünsche zu erfüllen, hatte ich diesmal doch Zweifel über den Erfolg dieser Unternehmung. Die Stelle in Wiesbaden war besetzt, und Vater Janyschew war doch erst vor kurzem nach Berlin versetzt worden. Aber es vergingen nur wenige Monate nach diesem Gespräch auf der Promenade in Baden-Baden, und Vater Matwejewskij wurde nach Petersburg gerufen und als Priester für den Smolensker Friedhof eingesetzt; Vater Janyschew wurde dagegen wieder nach Wiesbaden auf seinen früheren, ihm so lieben Posten versetzt. So bewahrheitete sich das französische Sprichwort: Ce que femme veut, Dieu le veut.