Der Tod des Kaisers Nikolaj Pawlowitsch
Das Jahr 1855 begann mit einem traurigen Ereignis, das Russland in tiefen Kummer stürzte und ganz Europa erschütterte. Den Kaiser Nikolai Pawlowitsch fürchtete man in Europa, doch man hatte große Ehrfurcht vor ihm, man zitterte vor ihm, man hatte vor allem Angst. Als in Europa die Revolution des Jahres 1848 ausbrach, gerieten die Throne aller europäischen Staaten ins Wanken und nicht wenige flogen von ihren Plätzen, und die, die noch auf ihren Thronen saßen, mussten jede Minute um ihre weitere Existenz bangen. In dieser Zeit erhob sich über allen in imposanter Weise die mächtige Figur des Zaren Nikolaj, auf den die Blicke aller gerichtet waren, sei es mit hoffnungsvollem Zutrauen, sei es mit Furcht. Die mehrere Monate lang andauernde Belagerung von Sewastopol hielt alle in gespannter Erwartung, wie dieser Kampf Europas gegen Russland enden würde, und inmitten dieser angespannten Erwartung aller erklingt die unerwartete Nachricht vom Tod des Kaisers Nikolaj. Dieses Ereignis war derart unerwartet, dass selbst die Großfürstin Olga Nikolajewna, die sich bei der ersten Nachricht über die Gefahr für das Leben ihres Vaters auf den Weg nach Russland begab, noch vor Erreichen der russischen Grenze von seinem Tod erfahren musste. Die Furcht und Erregung von uns allen in Stuttgart waren so groß, dass wir zunächst nicht wussten, ob wir an dieses scheinbar unmöglich Ereignis glauben sollten. Doch das Ableben des Kaisers war fraglos, und wir begannen unsere Kirche in Trauer zu kleiden und uns auf einen feierlichen Totengottesdienst vorzubereiten. Es ist bemerkenswert, dass nicht nur in Stuttgart, wo sich die Tochter des verstorbenen Kaisers befand, sondern überall im Ausland, wo es russische Kirchen gab, die Trauergottesdienste für den verstorbenen Kaiser von einer großen Zahl von Ausländern besucht wurden, und zwar nicht nur offizieller Persönlichkeiten, sondern auch einfacher Bürger, die dabei die allgemeine Hochachtung vor dem ihnen zu seinen Lebzeiten furchtbaren russischen Kaiser ausdrückten...
Danach wurde in den Ortszeitungen bekanntgegeben, dass sich alle Russen, die sich im Königtum Württemberg aufhielten, zum feierlichen Eid auf den neuen Kaiser in der russischen Kirche in Stuttgart einfinden sollten. Es versammelten sich viele, insbesondere Russlanddeutsche, die ungeachtet ihres protestantischen oder gar katholischen Glaubens den Eid in unserer Kirche leisteten, wobei sie das Kreuz und die Worte des Evangeliums küssten. Es erschienen auch russische Juden, doch sie schickte man für den Eid zum Ortsrabbiner und zum Unterschreiben der Eidespapiere in die russische Gesandtschaft.
Über den Zustand unserer Großfürstin, zu der unsere Herzen aus Stuttgart gerichtet waren, erhielt ich Nachrichten über den Sekretär N.F. Adelung, der mit ihr nach Petersburg gereist war. So schrieb er mir am 6. (18.) März:
"Ihren Brief vom 20. Februar (4. März) hatte ich das Vergnügen zu erhalten und übergab ihn unmittelbar der Großfürstin Olga Nikolajewna. Ihre Hoheit gab mir den Brief zurück und sagte, dass es ihr ein großer Trost gewesen sei, von den Trauerfeiern und den Beileidsbekundungen in Stuttgart zu hören, die ein Echo der tiefen Trauer und der inständigen Gebete darstellen, die ganz Russland erfüllen. Olga Nikolajewna trug mir auf, Ihnen herzlich für diesen Brief zu danken. Sie ist nicht ganz gesund; doch man konnte auch nichts besseres erwarten. Nach einer moralisch und physisch schweren Reise traf sie sich mit den ihren, im Laufe von zwei Wochen war sie bei zwei Panichiden täglich anwesend, und schließlich ließ sie gestern die furchtbarste Prüfung im Leben über sich ergehen: Sie sah, wie die sterblichen Überreste dessen der Erde übergeben wurden, den sie von Kindesbeinen an über alles geliebt und verehrt hatte. Doch Gott ist barmherzig! Hoffen wir, dass sie sich im Gebet bald gänzlich von ihrer kleinen Erkrankung erholt und in Taten der Barmherzigkeit, die für sie so typisch sind, Trost und Freude findet, die sie in diesem schweren Moment ihres Lebens zeitweilig verlassen haben!"
Doch inmitten dieser allgemeinen Trauer erlebte ich bald Trost und Freude, die sich aus der Barmherzigkeit des jungen Monarchen auf die Fürsprache der Großfürstin für mich ergossen. Am 17. April wurde ich mit dem ersten Orden in meinem Dienst ausgezeichnet, dem Orden der Hl. Anna 2. Klasse. Mir war es besonders wertvoll und wichtig, dass dies am Geburtstag des Herrschers geschah, der mich während seines ganzen Lebens stets mit Wohltaten überhäufte und seine besondere persönliche Gewogenheit mir gegenüber zeigte.
Unterdessen dauerte der Kampf um Sewastopol immer noch an, und wir nahmen im Ausland lebhaften Anteil sowohl an den Nachrichten vom Kriegsschauplatz als auch an der größtmöglichen Hilfe für unsere verwundeten und insbesondere gefangenen Soldaten. In dieser Angelegenheit schrieb mir Vater Joseph Wasiljew aus Paris: "Die Erde wird von Gerüchten erfüllt, und Paris ist eine Höhle, in der das Echo mit besonderer Klarheit widerhallt. Von diesem Widerhall erfuhr ich, dass es um uns fromme Seelen gibt, die in christlicher Weise am Unglück unserer Kriegsgefangenen, die sich in Frankreich befinden, Anteil nahmen, und ihr Los erleichtern wollen. Es gibt kein zeitgerechteres und heiligeres Opfer; die Heilige Kirche, die für die Unglücklichen in steigendem Maße entsprechend ihren Kümmernissen betet, stellte die Gefangenen auf den letzten Platz. Aus der Erfahrung sehe ich, dass sich in Gefangenschaft alles Unglück ansammelt: Reisen zu Land und zu Wasser, Krankheiten, seelische Leiden... Ich hatte schon den Trost, dass ich ihnen durch das Zutun guter Landsleute helfen konnte, die in der väterlichen Fürsorge des Herrschers ein Beispiel christlichen Verhaltens erkannten. Dank dieser Unterstützung verteilte ich unter den Gefangenen Kleidung, Schuhwerk und andere lebensnotwendige Dinge. Die Kriegsgefangenen befinden sich auf einer entfernten Insel des Atlantischen Ozeans, Aix. Ihre Lage ist erträglich, wenn man die russische Natur in Betracht zieht, die an Geduld und Selbstaufopferung reich ist. Ich verlebte anderthalb Monate auf der Insel und bedauere, dass ich wegen Fiebers zu den Feiertagen nicht bei ihnen sein kann, hoffe jedoch, dass ich sie in der bevorstehenden Fastenzeit besuchen kann". Natürlich erwiderten diesen Ruf ohne Ausnahme alle Russen in Stuttgart. Die gesammelte Summe wurde nach Paris an Vater Wasiljew geschickt.