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Amtshandlungen: Kirche ohne Heimatrecht

An meinem neuen Platz in Stuttgart war meine pastorale Tätigkeit in der Gemeinde sehr begrenzt, da ich außer den Taufen bei dem kinderreichen Kirchendiener und einigen Sängern einige Jahre nacheinander überhaupt keine Eheschließungen und nur selten Beerdigungen vorzunehmen hatte, und selbst das mehr in Baden, wo in diesem Jahr V.A. Schukowskij und im Herbst Fürst Gagarin starben. Ich spreche nicht in Einzelheiten von dem Tode Schukowskijs, da ich davon seinerzeit in der "Zeitschrift des Erziehungsministeriums" berichtete. Doch ich kann eine Besonderheit bei seinem Begräbnis in Baden-Baden nicht verschweigen. Da die Königin Olga Nikolajewna hierzu geruhte, den gesamten Klerus der Stuttgarter Kirche zu entsenden, d.h. außer mir noch zwei Psalmisten und vier Sänger, beschlossen wir, den Sarg des Verstorbenen unter dem Gesang von "Heiliger Gott" im Ornat bis zum Friedhof zu begleiten. Doch dafür mussten wir um die Erlaubnis der örtlichen Behörden vorstellig werden, da unsere Kirche in allen deutschen Staaten kein Heimatrecht besitzt, und wir deshalb nicht nur kein Recht zu Straßen-Prozessionen besitzen, sondern nicht einmal öffentlich unsere geistliche Kleidung tragen dürfen. Infolgedessen begleiten die Priester bei Beerdigungen orthodoxer Personen im Ausland den Sarg bis zum Friedhof wohl im Ornat, aber in geschlossener Kutsche und zelebrieren nur am Grab im vollen Ornat eine Litia. In Baden-Baden wurde uns auf besondere Fürsprache des dortigen Gesandten und aus Ehrerbietung vor der Persönlichkeit Schukowskijs gestattet, den Sarg nach dem Brauch und der Zeremonie der Orthodoxen Kirche auf den Friedhof zu begleiten, aber nur unter der Bedingung, dass neben mir der dortige katholische Priester ging. Dagegen hatte ich natürlich nichts einzuwenden und wunderte mich sogar darüber, dass der katholische Priester an unserer kirchlichen Handlung teilnehmen würde. Doch meine Verwunderung wuchs, als ich beim Heraustragen des Körpers des Verstorbenen aus dem Haus neben mir eine Person in äußerst seltsamer Kleidung sah – in einem langen Mantel, mit einem Dreieck auf dem Kopf und einem langen Schleier, der sich auf seiner Kopfbedeckung entfaltete. Es zeigte sich, dass das tatsächlich der katholische Ortspfarrer war, der dabei keine kirchliche, sondern polizeiliche Pflichten versah und sich deshalb nicht in priesterliche Gewänder, sondern in den Anzug eines Trauer-Marschalls bei Beerdigungen gekleidet hatte.

Wie sich die Protestanten gegenüber unserem Zeremonial verhalten, dazu hatte ich in diesem Jahr bei der Taufe des Kindes des langjährigen Kammerdieners des verstorbenen Schukowskij, des berühmten Wasilij Koljanow, Gelegenheit meine Beobachtungen zu machen. Er hatte eine Deutsche geheiratet und wohnte mit ihr nach dem Tod des Dichters in dem Dorf Langen bei Darmstadt, wohin er mich auch einlud, um das Neugeborene zu taufen. Das Erscheinen eines russischen Priesters und die Taufe nach dem Ritus der Ostkirche war dort ein solch unerhörtes Ereignis, dass sich zu dieser Taufe eine große Volksmenge mit den örtlichen Honoratioren und dem Pfarrer an der Spitze versammelte. Sie alle wohnten der Taufe mit Ehrfurcht bei, und als ich fertig war, kamen alle zu mir mit der Bekundung ihrer Begeisterung ob des ungeahnten Anblicks. Besonders erstaunte mich der dortige Pastor, der, von der Altertümlichkeit des Ritus begeistert, sagte:

– Was mich an diesem Ritus besonders angenehm überraschte, das war das Beschneiden der Haare des Täuflings. Ich dachte mir dabei: Wirklich, was kann ein neu getauftes Glied der Kirche Christi Gott darbringen, wenn es nackt aus dem Taufbecken steigt, außer den Haaren auf seinem Haupt!

Dieser poetische Gedanke, der in dem protestantischen Pastor beim Nachdenken über unseren Ritus keimte, kommt natürlich keinem von uns in den Sinn, indessen spricht er so viel für sich. Solche frei gefügten Erklärungen für unsere Riten von Menschen, die mit unserer Liturgik nicht vertraut sind, erstaunen uns nicht selten dadurch, dass sie ganz unerwartet erscheinen. Ich erinnere mich, wie der Herzog von Nassau, der bei den Panichiden für seine verstorbene Gattin, die Großfürstin Elisabeth Michailowna, häufig zugegen war, einmal sagte, dass ihn dieser Ritus sehr rühre.

– Besonders, fügte er hinzu, – wenn Sie die Kerze löschen und sie auf den Tisch legen. Welch erstaunlich belehrendes Symbol, das uns deutlich zeigt, dass so auch das Leben eines jeden von uns ausgelöscht werden muss!

Einmal geschah es, dass ich in Stuttgart von der Polizei aus Ulm, einer Stadt, die drei Eisenbahnstunden von Stuttgart entfernt ist, die Nachricht erhielt, dass dort im städtischen Krankenhaus irgendein armer Serbe gestorben war, ein armer Handwerker. Die Stadt beschloss, ihn auf ihre Kosten zu beerdigen, und, da er orthodox war, bat man mich, die Beerdigung vorzunehmen. Ich fuhr natürlich dorthin und nahm einen Lektor mit, der damals der erste Kandidat der Petersburger Akademie war und natürlich mit der Theologie vollkommen vertraut war, aber weder die kirchliche Gottesdienstordnung noch den Gesang kannte. Doch wie groß war meine Verwunderung, als ich nach Ulm kam und sah, dass die ganze Stadt auf den Beinen war. Die Nachricht von der Ankunft des Klerus der Königin aus Stuttgart zur Beerdigung eines armen Serben nach dem russischen Ritus rief die gesamte Bevölkerung der Stadt zu einem so unerhörten Erlebnis auf die Beine. Wir vollzogen den Beerdigungsgottesdienst in dem Zimmer des Verstorbenen nur in Gegenwart des Krankenhauspersonals. Als wir jedoch auf den Friedhof kamen, erwarteten uns hier große Menschenmengen. Als wir die Litia begannen, wurde mein Kandidat der Theologie vollkommen verwirrt und begann, nach einem völlig unbekannten Motiv zu singen; er erfand und änderte den Ton bei jedem Vers, so dass ich gezwungen war, ihn seinem Schicksal zu überlassen, um ihn nicht ganz aus der Fassung zu bringen. Am nächsten Tag lasen wir in der Lokalzeitung eine Beschreibung dieser Beerdigung, wobei mit besonderer Begeisterung der sympathische nie gehörte Gesang des Lektors hervorgehoben wurde, der alle Anwesenden erstaunt hatte, und auch das erloschene Weihrauchgefäß wurde nicht vergessen, in dem man versuchte, ein Symbol des erloschenen Lebens im Sarg zu erblicken.